© Martin Spreiter 2016
Der Dachstein
der Johann
Nach einem feuchtfröhlichem Freitagabend - oder sagen wir
es war die ganze Nacht - beginne ich Samstagmittag,
langsam meine Sieben Sachen zu Packen. Dachstein-
südwandhütte im Visier, um Sonntagmorgens den
„Johannklettersteig“ zu gehen.
Autobahnabfahrt Eben, Richtung Filzmoos am Dachstein.
Und schon steht das ganze Massiv in goldenem Abendlicht
wie verzaubert vor mir. Oder stehe ich verzaubert vor dem
Berg, oder wie?
So.. Hütte erreicht. Dieses herrliche
„hurra bin wieder in den Bergen“ Gefühl stellt sich ein. Essen , Sonnenuntergang genießen, noch
zwei Bier ...und schon ist es Zehn. Hüttenruhe! Das richtige Wort. Hüttenschlaf gelingt mir
meist erst nach einem erfolgreichem Bergerlebnis.
Fünf Uhr morgens. Ich will nicht mehr ruhen. Ich geh in die Gaststätte runter, blättre in
den Bergsteigermagazinen und warte aufs Frühstück.
Kurz nach Sechs ist es endlich soweit! Den letzten Schluck Kaffee ins
Gesicht und nix wie weg hier! Die morschen Knochen setzen sich in Bewegung. Gott sei Dank
geht’s zum Aufwärmen gemächlich los. Allmählich färbt die Morgensonne die ersten Berggipfel
in ein magisches rotes Licht, was die Aufbruchstimmung noch verstärkt. Der Tag wir heller, und
i steh nun mit drei Kollegen am Einstieg: DER JOHANN!
Ein Klettersteig der Kategorie D-E. Wobei E bei „Eisenwegen“ die höchste Schwierigkeitsstufe
bedeutet. Natürlich auch den höchsten Spaßfaktor. Noch einen Schluck aus der Wasserflasche,
die Blase entleeren und ..Whau der geht aber gleich hart zur Sache! Bevor man sich in die
Selbstsicherung einhängen kann, kommt schon ein Überhang. So bleibt für manch Einen der
„Johann“ nur ein Traum, und ich fühl mich stark genug um ihn zu meistern. Schon bin ich richtig
in meinem Element. Die Aussicht wird immer fantastischer und die Begeisterung trägt mich
höher und höher und ... . Schade! Wie schnell doch zweieinhalb Stunden vergehen können. Ich
steige aus der Wand und der Dachsteinwarte fast aufs Dach. Mit einem kräftig frohen Bergheil
klatsche ich meine Bergkameraden ab, und es stellt sich ein tiefes harmonisches Glücksgefühl
ein, so wie ich es nicht einmal vom Drachenfliegen her kenne. Auch erfahre ich jetzt woher der
fremde Akzent meiner Bergfreunde stammt. Sie kommen aus Slowenien. Bergsteigen kennt eben
keine Grenzen.
Leider führt auch eine Seilbahn..hinauf in die Gletscherwelt des Dachsteinmassivs und so
müssen wir Bergsteiger unser Bergidyll mit dem Massentourismus teilen. Da mir diese Spezies
Mensch zu laut und zu respektlos erscheint, raste ich nur kurz und gehe gleich weiter Richtung
Gipfel. Normalerweise nicht zu schwer, aber heute macht mir blankes Eis, und keine Steigeisen
in meinem Gepäck einen Strich durch die Rechnung. Fünfzig Meter unter der Dachsteinschulter
die wiederum hundert Meter unter dem Gipfel ihr kühles Dasein fristet, gebe ich auf. Rückzug
ist besser als Leichenzug! Und trotzdem hätte ich dem Koloss so gerne wenigstens über seine
eiskalte Schulter geschaut.
Speckknödelsuppe im Touri Strudel auf der Hütte, anstatt Gipfelglück ...
Hinterher womöglich mit der Bahn runterfahren? Nein!! Ich mache eine Tour übers Ewige Eis
hinunter zu nächsten Hütte. Benannt nach Professor Simoni einem Pionier der Glazeologie.
Schon nach zehn Minuten hat mich die Einsamkeit der Berge endlich wieder. Allerdings auch ein
bisschen die Angst. Dass ich auch immer eigene Wege gehen muss? Endlich entdecke ich eine
offensichtlich bergwärts führende Schispur. „Wenn der in keine Spalte gefallen ist, wird der
liebe Gott mich wohl auch verschonen ..“ Er hat mich verschont! Dafür lässt er mich noch eine
Stunde durch metertiefen Nassschnee stapfen. Trotzdem, ich habe die Hütte gefunden! Herrlich
gelegen und fernab jeglicher Menschenmassen.
Ein herzhaft strahlendes Lächeln begrüßt mich: „Du möchtest also bei uns heut übernachten ..“
aus dem Mund der hübschen Hüttenwirtin, und ich fühl mich pudelwohl.
Der Tag hat mich wohl ganz schön mitgenommen und ich schlaf während ich aufs Abendessen
warte, auf meinem Stuhl ein. So beziehe ich auch gleich nach dem Dinner mein Lager. Und ich
habe Glück: meine Gebete werden erhört und die Vierergruppe die sich für die Nacht noch
angemeldet hat, bleibt aus. Danke! Das Lager für mich alleine, seliger ungestörter Schlaf.
Morgens um Sieben steh ich wie neu geboren auf. Nicht einmal eine Spur von Muskelkater.
Ordentlich frühstücken und dann: Morgenstund hat Gold im Bein. Blödsinn, Gold wäre ja viel zu
schwer. Auf alle Fälle ist der Schnee noch fest gefroren. und ich breche nicht wie beim Abstieg
hüfttief ein..
Ich gehe vorbei an den Markierungen die den Gletscherrückgang drastisch veranschaulichen.
Jetzt habe ich fast schon ein schlechtes Gewissen, aufgrund meines Energiebedarfs mit PKW,
Heizung und was sonst allem. Doch kann ich das wirklich ändern, und wie?. Dabei sind
Gletscher so schön. So sinniere ich und wandle in faszinierender Einsamkeit in einer Welt, die
es so, nicht mehr lang geben soll. Irgendwann gesellt sich zu meinen Gedanken noch das
Knattern eines Hubschraubers. Scheint, dass er irgendwelche Vermessungen macht, und will
einfach nicht verschwinden. Ironie des Schicksals: Mich, der sich immer einen Hubschrauber
wünscht, nervt nun mein eigenes Spielzeug. Schließlich verschwindet er dann doch, und ich
stehe erneut vor dem Dachstein. Und ich sehe eine Chance ihm doch noch über seine Schulter
zu schauen. Vorbei an einer gähnenden Spalte kämpfe ich mich sehr steil hinauf. Und ...
Geschafft! Eine grandiose Aussicht bei stahlblauem Himmel belohnt meine Hartnäckigkeit.
Dreihundertgrad freier Blick, nur im Westen der etwas höher gelegene Gipfel. Whau, whau, whau
Ich kann mich gar nicht satt sehen. Einfach nur geil. Stehen, schauen, staunen, genießen. Ich
werde ehrfürchtig und stolz zugleich.
Die Füße schwer und fest am Boden verankert,
und den Kopf fast schon im Himmel..
..und doch kommt auch vom größten Glück irgendwann der Abschied. Zurück auf der
Seetalerhütte höre ich bei den obligatorischen Speckknödeln und einem Weißbier, den Touris
schon bedeutend entspannter zu. Eine Frau erzählt mir voller Stolz, dass sie eben eine
Krebstherapie erfolgreich abgeschlossen hat, und wie leicht ihr die dreiviertelstündige
Gletscherwanderung, von der Seilbahn hierher gefallen ist. Die scheinbar grenzenlose Weite und
das erhabene Gefühl hier oben tun ihrer Seele sichtlich gut. Jetzt bin ich mit der Seilbahn
wieder versöhnt, und ziehe es sogar in Erwägung sie als Abstiegshilfe zu nutzen. Allerdings nur
so lange bis ich an der Bergstation angekommen bin.
Obwohl mich einige Leute vor dem Abstieg warnen, alles in mir sagt zu dieser Bahn nur Eines,
und zwar: NEIN!!! Und so suche ich meinen Weg entlang dem meist tief verschneiten
Sicherungsseil, und habe dabei ganz schön die Hosen voll. Meine Wanderstöcke haue ich tief in
den Schnee, und doch weiß ich ...
..wenn mir der Schnee unter meinen Füßen wegbricht, dann habe ich eine Freifahrt gewonnen, in
den Himmel!
Die Spuren die andere „Wahnsinnige“ schon vor mir hinterlassen haben beruhigen mich auch
nicht wirklich. Wahrscheinlich waren sie klüger als ich und sind als Seilschaft gegangen.
Während ich so über meinen Eigensinn nachdenke, bemerke ich, dass jemand meinem blöden
Beispiel gefolgt ist. Ich warte auf ihn und wir ärgern uns gemeinsam über unsere sonderbare
Entscheidung. Nach der Steilwand ist das Gröbste überstanden und es geht über eine tief
verschneite Rinne talwärts. Obwohl der Schnee patschnass ist, komme ich gut in meinen
Rhythmus. Ich kann die Talfahrt sogar richtig genießen, es ist fast wie Tiefschneefahren. Mein
neuer Freund scheint damit mehr Probleme zu haben. Irgendwann zeigt sich rechts von mir ein
richtiger, schneefreier Weg. Während ich auf meinen “Anhänger“ warte, wechsle ich meine völlig
durchnässte Kleidung.
Trockengelegt genießen wir nun gemeinsam den Weg hinunter ins Tal und in den Abend. Es ist
als würden wir uns schon ewig kennen. Und unsere Gespräche gewinnen bald schon eine tiefe
und persönliche Note. Der Berg schweißt halt doch zusammen.
Ich entschließe mich heut nicht mehr nach Hause zu fahren, und lasse den Tag relaxt und tief
glücklich ausklingen. In der Hütte wird’s dann mit vier britischen Bergsteigern noch richtig
international. Und gesellig. Wir schaffen es sogar die heilige Hüttenruhe um zwei Stunden zu
überziehen.
Ende gut, alles gut.